#79 Straßenportraits sind hohe Kunst

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Nervenkitzel für den besonderen Moment

In der Streetfotografie wird endlos gequatscht, was echte Streetfotografie sei. Mir ist das ziemlich egal, aber Straßenporträts gehören für mich eindeutig dazu. In meinen Augen lebt (meine) Fotografie von menschlichen Emotionen. Ich mag keine kalten und seelenlosen Straßenbilder. Ich habe für mich beschlossen bei Portraits, so nah wie möglich zu gehen. Ich zeige euch, wie das geht.

Nervenkitzel für den besonderen Moment

Warum mache ich Bilder von Fremden auf der Straße? Ich finde es ungeheuer spannend, mit offenen Augen durch die Stadt zu schlendern, um dann den einen Moment zu sehen und ihn "richtig" zu erwischen. Oder ich sehe einen tollen Typen oder eine merkwürdige Situation, dann zücke ich sofort meine "schussbereite" Kamera. Anfangs war ich auch ängstlich, aber das legt sich mit der Zeit. Denn der Nervenkitzel zuvor und das Gefühl danach, einen echten Schnappschuss im Kasten zu haben, ist schon berauschend.

Ja, es ist auch eine Art Herausforderung und mit Risiko behaftet. Gerade in Deutschland sind die Leute fast hysterisch um ihre Privatsphäre besorgt. Aber seid versichert, mit Respekt, Höflich- und Freundlichkeit kann (fast) nichts passieren. Ich bin nur einmal von einer Frau gebeten worden, dass Bild zu löschen, was ich dann vor ihren Augen auch tat.  

Streetfotografie ist die hohe Kunst

Es bereitet mir echte Zufriedenheit, wenn mir auf der Straße ein gut komponiertes Bild oder das Portrait eines Menschen mit Emotionen gelingt. Ich finde, das ist hohe Kunst, denn im Studio kannst du alles kontrollieren (Licht, Pose, Einstellungen) und du hast endlos Zeit. Auf der Straße kannst du das alles nicht. Und das macht den Reiz aus. Im Gegensatz zur brutalen Herangehensweise eines Bruce Gilden oder dem stets grenzüberschreitenden Eric Kim verfolge ich keine Serie, Story oder bestimmtes Projekt, wenn ich Leute auf der Straße fotografiere. Ich mache es einfach gerne und ich entscheide aus dem Bauch, wen und wie ich schieße. 

Wie gehe ich vor?

Wie nähere ich mich einer fremden Person? Gerade am Anfang ist es einfacher, wenn man nach Leuten sucht, die herumstehen, warten oder bequem irgendwo sitzen. Am besten achtet ihr darauf, diejenigen, die arbeiten, nicht zu stören. Oder generell vermeiden, dass mein Ansinnen unerwünscht ist oder Probleme bereitet. Schau genau auf die Körpersprache. Dies ist etwas, das mit der Zeit und der Erfahrung besser wird, zusammen mit der Fähigkeit, vorauszusehen, ob jemand einverstanden sein wird, fotografiert zu werden. Ich kann nicht genug wiederholen, dass wenn die Person total beschäftigt ist, nicht glücklich aussieht oder offensichtlich nicht in der Stimmung ist, sich mit einem Fremden zu unterhalten ... so wird es nicht funktionieren.

Das Eis zu brechen ...

... ist nicht immer einfach. Ich habe gelernt, dass ein aufrichtiges Lächeln und eine höfliche Ansprache den Damm brechen kann. Mein Tipp: Beginne damit, deine Präsenz innerhalb des Sichtfeldes des Subjekts zu etablieren und komme dann langsam, aber sicher näher. Sei, wie ein harmloser Tourist, der nur rum knipst. Beobachte aber weiter unauffällig die eigentliche Zielperson und lese die Signale. Denn wenn du in die Komfortzone eindringst, dann musst du mit einer Reaktion rechnen. Aber bei einem guten Gefühl, wenn du dir sicher bist und positiv gestimmt bist, dann frage einfach, ob du sie fotografieren darfst. Die Antwort ist meist ein JA. 

Meist folgt eine ganz kurze Konversation (z.B. toller Hut oder wunderbares Licht hier). Manchmal ist es nur ein gegenseitiges Nicken, um zu zeigen, ob sie/er mit einem Foto einverstanden ist. In seltenen Fällen hatte ich  dann interessante Gespräche, die auch eine Erfahrung für sich sein können. Klar, eine Ablehnung passiert auch, das ist unvermeidlich. Na und? Lächele einfach nur höflich und gehe weiter. Für jede Ablehnung gibt es dutzende Gründe, bleib einfach positiv gestimmt, nicht nur geistig, sondern auch körperlich. Dein Gesichtsausdruck und wie du dich präsentierst, ist der Schlüssel zu einer positiven Antwort. Die erste Reaktion der Leute auf dich basiert größtenteils auf deiner physischen Erscheinung und Person, besonders, weil du ihnen völlig fremd bist. 

Ein Lächeln ist wie Magie

Viele sagen, dass Straßenporträts mehr Charakter haben, wenn man sie im überraschenden Moment ablichtet (Candid), sie also nicht vertraut lächeln. Ich glaube, Lächeln ist natürlich, angenehm und wir alle lächeln, wenn wir uns begegnen, besonders Freunde und Familie. Ein menschliches Lächeln ist magisch, auch auf Fotos, es hilft Brücken zu bauen. Tiere haben andere Formen der Begrüßung. Bei Menschen ist das Lächeln essentiell. Warum etwas ausschließen, das so exklusiv ist, wenn man Menschen knipst?

Nochmal zurück zum Fotografieren selber. Wenn du die Erlaubnis hast, dann muss es schnell gehen. Niemand findet es toll, wenn du erst anfängst umständlich am Apparat zu fummeln und dann unzählige Bilder machst. Die Einstellungen müssen vorher feststehen und jeder Schuss muss sitzen ... ein zwei Bilder und dann ist es gut. Selbstverständlich ist der Respekt vor der Person. Du bleibst eine Armlänge entfernst und fuchtelst nicht mit dem Objektiv vor der Nase hin und her. Mir geht es nicht um Schockeffekte eines Bruce Gilden, sondern ich möchte die einzigartige Schönheit und den Charakter einfangen. 

3,5 wichtige Tipps und Tricks

Zum Schluss noch ein paar Kamera Tipps und Tricks für eure Straßenfotos. Stellt die Kamera auf den P-Modus und öffnet die Blende soweit wie möglich (f2.8 oder besser f1.8). Der Autofokus sollte auf das nähere Auge ausgerichtet sein. ISO: So niedrig wie möglich, normalerweise ISO200-400. Meine Lieblingslinse für Straßenporträts ist die Olympus M.Zuiko 45mm F1.8 Festbrennweite im Micro-Four-Thirds Format (das sind 90mm im Vollformat). Dadurch kann ich etwa zwei Meter von meinem Motiv entfernt stehen und Kopf- und Schulteraufnahmen machen. Diese Brennweite bringt entscheidende Vorteile: Die offene Blende erzeugt nur eine geringe Schärfentiefe. Dadurch fokussiert es schmeichelhaft und ohne Verzerrungen auf das Gesicht und fängt den (störenden) Hintergrund nur verschwommen ein (das sogenanntes Bokeh). Alles was kürzer als 50mm ist, erzeugt bei Portraits unschöne Verzerrungen im Nahformat (riesige Nase oder Mondgesichter). Bei über 100mm musst du zu weit weg gehen und verlierst die "Nähe" zur Person. Schwarz-weiß eignet sich besonders für Straßenporträts. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf den Gesichtsausdruck und reduziert die Unruhe.

Sei mutig und ehrlich

Ich kenne ein paar Fotografen, die mit ihrer ganz eigenen Art auf Menschen zu gehen und denen es intuitiv gelingt, das Vertrauen für ein persönliches Foto zu gewinnen. Dieter WunderlichHendrik LohmannAlex PfeiferTobias LöhrChris Candid oder Martin U Waltz würde ich hier exemplarisch nennen. Das Wichtigste ist, dass du ein ehrliches Interesse an dem Menschen hast, den du fotografieren willst. Das können Äußerlichkeiten, Klischees, langer Bart, Tattoos, ein besonderer Ausdruck, viele Einkaufstaschen, interessante Kleidung, der allgemeine Stil sein. Es kann auch eine besondere Ausstrahlung sein. Irgendetwas an dem Menschen wird dein Interesse erregt haben und das sollte sich später im Bild zeigen. 

Viel Glück und viel Spaß

Noch etwas Grundsätzliches. Männer lassen sich viel einfacher fotografieren als Frauen. Es mag sein, weil sie sich weniger um ihr Aufsehen, Haare oder Make-up scheren? Wenn du alleine (nicht in einer Gruppe von Fotografen) losgehst, steigt deine Erfolgsrate. Außerdem habe ich bemerkt, dass Menschen positiv auf kleinere Kameras reagieren (wie meine Olympus OM-D 10 oder die schicke PEN-F). Die Leute sind vorsichtiger, wenn sie mit dicken Spiegelreflexkameras und langen Objektiven konfrontiert werden. 

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