#98 Was heben wir auf und was kann weg?
Ich bin früher ziemlich oft umgezogen und jedesmal habe ich Sachen "entsorgt". Ich bin anscheinend geübt, Dinge dahingehend einzuschätzen, ob ich sie noch nutze oder entsorge. Bei Büchern und Schallplatten tue ich mich schwer, aber bei CDs bin ich schonungslos und verkaufe immer wieder einen Stapel. Vielfach reichen mir die Abbildungen von liebgewonnenen Dingen, um die Erinnerung rund um Dinge wachzurufen. Wie geht es euch?
Haben ist besser als Brauchen?
Andere horten ihre Habseligkeiten (da wo Platz ist) in Garagen und auf Dachböden. In Kartons stapeln sich Spielsachen und Kinder-Klamotten, die man gerne an Familie und Bekannte weitergeben möchte - die aber doch keiner haben will. Und gehen wir noch einen Schritt weiter. Neben den physischen Dingen horten wir immer mehr Digitales. Daten, Dokumente, Videos und Bilder lagern auf verschiedensten Festplatten und in der Cloud. Wer nimmt sich die Zeit, um das alles zu sortieren oder zu entsorgen? Niemand, weil Speicherplatz so günstig ist.
Raumkondensat im Verhältnis 1:10
In der letzten Woche habe ich im Wien Museum einen Vortrag zum Thema Selfstorage gehört. Ich fand es interessant, dass es ein Raumkondensat im Verhältnis 1:10 gibt. Für eine fünfzig qm große Wohnung braucht man nur fünf Quadratmeter Lagerfläche. Selfstorage-Abteile werden nicht wie Wohnungen in der Fläche gedacht, sondern wie Container in Volumen. Flächen, wie eben jene Wohnung, werden zusammengelegt, ineinander gestapelt und wie Landkarten ins Abteil eingefaltet. Immer in der Hoffnung, dass diese Landkarten eines Tages wieder aufgefaltet werden. Die Boxen beherbergen wichtige Bezüge und Erinnerungen, vergleichbar mit Museen, Friedhöfen, Bibliotheken und Archiven.
In der Schwebe halten
Die Wissenschaftlerin Petra Beck hat das schön analysiert: Das Aufbewahren von Dingen ist ebenso eine Identität stiftende Praxis wie das Aussortieren, der Gebrauch ebenso wie der Tausch. Was gehört zu unserem Selbstbild, zu unserer Biographie, was ist ein Teil von uns? Was nicht oder nicht mehr? Was bewahren wir wo auf? Was nutzen wir, was lagern, was entsorgen wir? Gerade während des Aussortierens spannt der Umgang mit den Dingen ein komplexes Netz zwischen uns, unseren Beziehungen, Erinnerungen und der Zukunft. Gedanklich wird in diesen Prozess die ganze Umwelt mit einbezogen: „Vielleicht kann es noch jemand brauchen?“
Neben einem Mehr an Mobilität und an Dingen basiert das Prinzip Selfstorage also auch darauf, dass die meisten Menschen sich nicht von Dingen trennen können. Es fällt schwer, die Kategorie eines Gegenstandes, mit dem man die eigene Biographie geteilt hat, ohne Übergang von „Objekt in Gebrauch“ zu „Müll“ zu ändern. Sich von Dingen zu trennen, erfordert Überlegungen, Auswählen, Entscheidungen, das Überdenken von Prioritäten und Ressourcen, das Abwägen von Tausch- und Gebrauchswert, Raum und Zeit. Fast alle Menschen haben große Probleme damit, etwas „einfach zu Müll“ zu erklären. Sie haben aber häufig kein Problem damit, genau dieses Ding an jemanden weiter zu reichen. Einlagern bietet die Möglichkeit, die Dingkategorie für eine Weile in der Schwebe zu halten. Selfstorage fungiert als Übergang zwischen zwei sozialen und zeitlichen Zuständen, als eine Schleuse, durch die die Dinge hindurch müssen, um anderswo sein zu können. Lagern ist eine Praxis, die an die Zukunft glaubt.
Scheintrennung und sehnsuchtsbeladener Zwischenraum
Selfstorage ermöglicht es, zu besitzen und doch nicht zu besitzen, zu besitzen und nicht wirklich belastet zu werden mit dem Besitz. Das ist eine Art, sich zu befreien, ohne sich komplett zu trennen, eine Scheintrennung. Man kann seine Wohnung entrümpeln, Platz für Neues schaffen, mobil sein – und zugleich das Alte, das Mehr, die Sammlung bewahren. Selfstorage-Räume können auch ein Mittel sein, sich vorübergehend aller persönlichen Dinge zu entledigen.
Sie sind Einladung zur Reise und zugleich Orte der Rückkehr, wie ein sehnsuchtsbeladener Zwischenraum. Die Friseurin packt ihr „Zuhause in die Box“ und heuert auf einem Kreuzfahrtschiff an. Der Altenheimbewohner sucht bei seinen Fluchten aus dem Heim immer wieder sein Abteil auf und setzt sich zu seinen Sachen. Die Studentin kann sich das Auslandsemester leisten, weil sie ihr WG-Zimmer auf zwei Quadratmetern zusammenschrumpft.
Wo Dinge wohnen - Das Phänomen Selfstorage im Wien Museum
Welche Dinge heben wir auf und welche geben wir weg? Darüber entscheidet nicht nur der praktische oder emotionale Wert eines Gegenstands, sondern auch der vorhandene Platz zur Aufbewahrung. Wenn klassische Lagerräume wie Dachböden verschwinden und steigende Mieten den Umzug in eine größere Wohnung unerschwinglich machen, stellt sich die Frage: Wohin mit den Dingen, die immer mehr werden?
Eine Option sind „Selfstorages“. Die Ausstellung „Wo Dinge wohnen“ fragt nach den Gründen und Rahmenbedingungen für diesen Trend. Welche Rolle spielen beschleunigte Lebensstile und wachsende Anforderungen an Mobilität und Flexibilität? Und welche Lebensentwürfe und biografische Einschnitte spiegeln sich in der Nutzung von Selfstorages wider? Herzstück der Ausstellung bilden Porträts von Nutzern und ihren ausgelagerten „Schätzen", vom Familienarchiv bis zum „Kleiderschrank außer Haus“. Sie erzählen von der Bedeutung von Gegenständen für die eigene Geschichte und Identität.
Die Ausstellung geht noch bis zum 7.4.2019.