ⓦ 77 Kult- und Fruchtbarkeitsriten

Ich bin durch Zufall auf den "Kalenderstein von Leodagger", bei Pulkau in Niederösterreich gestoßen. Dieser markante Felsbrocken wurde schon vor 600 Jahren urkundlich erwähnt. Es handelt sich dabei um eine prähistorische Kultstätte, bei der sowohl die Sonnenbahn beobachtet als auch Fruchtbarkeitsriten durchgeführt wurden. 

Der moderne Mensch in seiner übermächtigen Zivilisation hat es verlernt, auf die Kräfte der Natur zu hören. Ich bin jetzt kein Esoteriker, aber ich glaube an Energien um uns herum. Naturvölker lassen sich selbstverständlich darauf ein und spüren es und richten ihr Tun danach. Sensible Menschen wollen Zurückfinden zum einfachen Leben. Ich lasse mich gern auf den Erfahrungsschatz ein, bin Eins mit der Natur und kann an solchen besonderen Plätzen Kraft und Inspiration sammeln. Ich umarme sogar Bäume, speziell die Kauris in Neuseeland und ich liebe Naturschauspiele, wie an diesem besonderen Tag an diesem Ort.

Harmonie und Licht

Am 23. September ist Herbstanfang. Es ist der Zeitpunkt, an dem auf der nördlichen Erdhalbkugel die Sonne den Himmelsäquator von Norden nach Süden überschreitet. Genau dann sind überall auf der Welt Tag und Nacht gleich lang. Man sagt dazu auch Tag-Nacht-Gleiche oder auch Äquinoktium. Die Sonne geht um 6 Uhr auf und um 18 Uhr unter. Danach werden bei uns die Tage allmählich wieder kürzer und die Nächte länger. Ungefähr am 21. Dezember erreicht die Sonne den südlichen Wendekreis – dann ist bei uns der kürzeste Tag des Jahres. Anschließend wandert die Sonne zurück in den Norden. Um den 21. März herum erreicht sie wieder den Himmelsäquator. Dann ist der Tag noch einmal genauso lang wie die Nacht.

Équinoxe ist ein instrumentales Konzeptalbum des französischen Künstlers Jean Michel Jarre. Es umfasst den Tagesablauf eines Menschen von frühmorgens bis zum späten Abend. An diesem besonderen Tag im Jahr, wo Tag und Nacht gleich lang sind, der Sommer endet und der Herbst beginnt, stehen wir an einer Schwelle. Am Übergang von der hellen zur dunklen Jahreszeit, wo sich vieles in der Natur – und auch in uns – umkehrt. Von außen nach innen. Aus der Fülle, der Ernte, in die Ruhe und Besinnung. Es ist ein Moment der äußeren und inneren Balance, beide Qualitäten sind gleichermaßen zu spüren. Es ist auch ein Fest des Wandels, da ab dem kommenden Tag das Halbjahr des Lichts von der dunklen Jahreshälfte abgelöst wird. Von nun an sind die Nächte länger als die Tage und es geht auf den Winter zu. Die Sonne tritt ihren Rückzug an und auch die Tier- und Pflanzenwelt zieht sich und ihre Kräfte zurück. Es ist nun ein guter Zeitpunkt, Wurzeln und Samen zu sammeln. Die Kräuterernte ist nun aber so gut wie beendet.

Ein magischer Moment

Die Tag-Nacht-Gleichen sind ganz besondere astronomische Konstellationen und Zeitpunkte, da an ihnen die Welt kurz stillzustehen scheint. Beide Pole (hell und dunkel, Tag und Nacht) stehen kurzzeitig in absoluter Harmonie zueinander, bevor das Kräfteverhältnis sich dann wieder verschiebt. Solche Übergänge und Zwischen-Zeiten waren seit Jahrtausenden als besonders kraftvolle, teilweise aber auch unheimliche Momente bekannt. Es heißt, an ihnen sind die Schleier zwischen den Welten dünner und durchlässiger, weshalb diesen Momenten eine besondere mystische Qualität zugesprochen wird. Und gerade solche Zeitpunkte sind daher besonders zum Orakeln geeignet, da die verschiedenen Welten weniger stark voneinander getrennt sind und eine Schwelle übertreten wird.

Der Kalenderstein von Leodagger

Ich bin durch Zufall auf den "Kalenderstein von Leodagger", bei Pulkau in Niederösterreich gestoßen. Dieser markante Felsbrocken wurde schon vor 600 Jahren urkundlich erwähnt. Es handelt sich dabei um eine prähistorische Kultstätte, bei der sowohl die Sonnenbahn beobachtet als auch Fruchtbarkeitsriten durchgeführt wurden. Durch den Visierspalt war es möglich, den Sonnenstand der Tag-Nacht-Gleichen, also den Frühlings- und Herbstbeginn zu bestimmen und damit Aussaat- und Erntezeiten für die Landwirtschaft einzuteilen. An diesen Tagen im Frühjahr und Herbst geht die Sonne exakt im Spalt auf und unter.

Der Ortsname Leodagger (Lichtacker) lässt auf einen Lichtort schließen. Ein Teil des Felsblocks scheint von Menschenhand geglättet zu sein, um als Rutsche Verwendung zu finden. Wie an vielen anderen Kultorten rutschten Frauen, die auf Kindersegen warteten, über die glatten Felsbrocken. Im Zentrum der Steinformation wurden Meteoriteneinschläge vermutet. Der Kultplatz ist auch mit einer kosmischen Einstrahlung versehen. Die Kraftorte Forscherin Gabriele Lukacs hat sogar geomantische West-Ost und Nord-Süd-Linien und Verbindungen zu vielen weiteren Kraftplätzen in der Umgebung gefunden. 


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