#59 Andere Ansichten - Kleider machen Leute
Obdachlose als Mode-Designer, Professoren oder Barkeeper: Für das Projekt "Repicturing Homeless" hat der Fotograf Frank Schemmann obdachlose FiftyFifty-Verkäufer aus Düsseldorf als Erfolgstypen in Szene gesetzt. Bis zum 30. Mai ist die multimediale Ausstellung im Café der Düsseldorfer Johanneskirche zu sehen. Der Erlös kommt der Obdachlosenhilfe "Housing First" zugute. Die Ausstellung macht deutlich, "wie stark wir uns doch vom Äußeren leiten lassen, wie wenig wir hinterfragen, was wir sehen", sagte Diakoniepfarrer Torsten Nolting. Die Schau trägt dazu bei, die eigenen Sehgewohnheiten und Muster kritisch zu überprüfen. Die Diakonie Düsseldorf unterstützt die Ausstellung, gemeinsam mit dem Obdachlosenverein "fiftyfifty", der Agentur Havas und der Johanneskirche.
Ein Lächeln und etwas Geld reinwerfen hilft
Was wäre, wenn Obdachlose so angezogen und gestylt wären wie Menschen, die einen Job und eine Wohnung haben? "Repicturing Homelessness" hat aus diesem Gedankenexperiment ein Fotoprojekt gemacht. In einem Fotoshooting wurden die beliebtesten Motive der Bildagentur Getty Images nachgestellt. Die Fotos können von Medien weltweit verwendet werden. Und die Verwandlung der wohnungslosen Menschen ist bemerkenswert. Hier einige Beispiele:
Lesen Sie mich von der Straße
Lesen gehört zum Leben. Das legt in der deutschen Sprache schon der Wortlaut nahe. Wie existenziell beide Begriffe im Wesen miteinander verbunden sind, beweist der Erfolg der Zeitschrift fiftyfifty. „Lesen Sie mich von der Straße auf." Ein handgeschriebener Satz auf einem alten Pappschild. Das witzige Wortspiel ist kein billiger Gag! Papperlapapp, es handelt sich um einen eindringlichen Appell! Die Schlagzeile der Kampagne propagiert das Programm, für das jedes Heft steht. Monat für Monat informiert fiftyfifty mit anspruchsvollem Journalismus engagiert und kritisch über menschliche Not.
Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Die Idee des Straßenmagazins basiert auf barer Münze. fiftyfifty schafft nämlich im doppelten Sinn des Wortes echten Mehrwert. Denn der Name ist Programm. Dieses Medium ist seine Botschaft. Schon mit dem Kauf der Zeitschrift tut man Gutes. Die eine Hälfte des Preises finanziert die Produktion des Heftes, die andere Hälfte geht direkt an den Verkäufer. Nicht Kopf oder Zahl, sondern Kopf und Zahl! Im Grunde genommen sind alle Verkäufer von fiftyfifty Kleinunternehmer. Sie bekommen tatsächlich nichts geschenkt. Indem sie jedes einzelne Heft auf eigenes Risiko einkaufen, lernen sie, in ihr eigenes Schicksal zu investieren. Mit ihren Verkaufserlösen verfügen sie oft erstmals wieder über ein eigenes Einkommen.
Nicht weniger wichtig als das finanzielle ist das moralische Kapital, das Menschen ohne feste Bleibe mit dem Verkauf von fiftyfifty erwirtschaften. Was sie vor allem verdienen ist Respekt. Indem sie die Arbeit als Verkäufer aufnehmen, übernehmen sie Verantwortung für ihre Zukunft. Die regelmäßige Tätigkeit strukturiert ihren Tag und gibt ihrem Leben neuen Sinn. Der Mut, sich auf die Straße zu stellen und einfach wildfremde Menschen anzusprechen, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Die persönliche Not öffentlich zu machen, ohne zu betteln, erfordert Selbstbewusstsein – und fordert mehr als Mitleid.
Wenn Sie also, liebe Leserin, lieber Leser, Ihre geschätzte Aufmerksamkeit nicht irgendeinem Text zuwenden, sondern ebendiesem hier, dürfen Sie sich als Lesewesen erleben. Mit der Lektüre von fiftyfifty helfen Sie, Menschen buchstäblich von der Straße aufzulesen. In diesem Sinne: Lesen Sie wohl!
Quelle: fiftyfifty - Prof. Wilfried Korfmacher, Hochschule Düsseldorf