#278 Helden des Alltags mit Cathrin Beese und Andreas Jorns … Geballtes Desinteresse am Pflegethema

„Was wäre, wenn es keine Pflegekräfte mehr gäbe und wir keine Zeit mehr für die Bewohner hätten?“

Viel Spaß beim Video und Podcast mit Cathrin Beese, Andreas Jorns, meinem Co-Host Gregor Nick und mir. Hier gibt es das YouTube Video mit allen Bildern und dem Making of: https://youtu.be/OKs86Je0R40

Wer von euch hat schon mal über das Leben im Alter nachgedacht? Ist euch bewusst, dass jeder zweite früher oder später ein Pflegefall wird? In der Bevölkerung herrscht noch immer ein geballtes Desinteresse am Thema Pflege.

Cathrin Beese, Geschäftsführerin der Parkresidenz am Germanswald in Villingen-Schwenningen hat sich zusammen mit dem Fotografen Andreas Jorns des Themas Pflegenotstand angenommen.

„Sehen Sie hin!“

… heißt die Bilderserie, die Mitarbeiter, Ehrenamtliche und Bewohner der Parkresidenz aufgenommen haben. Die Bilder zeigen „Was wäre, wenn es keine Pflegekräfte mehr gäbe und wir keine Zeit mehr für die Bewohner hätten?“ Das Team der Parkresidenz hat eine solche Dystopie entwickelt. Entstanden sind bedrückende oder besser schockierende Fotos mit einer klaren Botschaft. Sehen Sie hin!

Interesse für die Pflege wecken

Dass in der Bevölkerung der Fokus derzeit auf den Pflegekräften liege, sieht Cathrin Beese als Chance, deren Image zu verbessern. Dabei nimmt sie nicht etwa die Politik in die Pflicht, sondern die Fachkräfte selbst. "Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen", sagt sie und schlägt jedem vor, im Freundes- und Familienkreis mit Stolz von der wertvollen Arbeit der Pflege zu erzählen.

Wir plaudern mit Cathrin und Andreas über den Ideenprozess, die Zusammenarbeit und warum es solcher verstörenden Bilder bedarf. Wie reagieren die Besucher und was hat sich nach der Aktion getan? Wir reden über die eigene Vorsorge, das Sterben, die tollen Geschichten bei der Arbeit als Pflegekraft, über Sex im Alter und am Ende gibt uns die süße Gute-Nacht-Geschichte von Cathrin wieder gute Hoffnung.

Charlie Brown: Eines Tages werden wir alle sterben, Snoopy! Snoopy: Stimmt, aber an allen anderen Tagen nicht.

Kapitelmarken zum Podcast

  • (00:00) Vorstellung von Cathrin Beese und Andreas Jorns

  • (04:00) Fotoprojekt: Sehen Sie hin!

  • (05:05) Kulturfest Parkresidenz am Germanswald

  • (05:55) Portraits der Bewohner und Mitarbeiter 

  • (10:10) Podcasts zum Thema Sterben

  • (11:37) Eigener Umgang mit dem Tod

  • (14:00) Mit schockierenden Bildern provozieren

  • (17:00) Ich denke jetzt mal über mein Alter nach

  • (19:00) Schaut ruhig mal bei einem Pflegeheim rein

  • (21:38) Making of: Sehen Sie hin!

  • (27:00) Wie war die Wirkung und wie haben die Besucher reagiert?

  • (30:00) Niemand kam zur Vernissage

  • (33:50) Geballtes Desinteresse am Pflegethema

  • (36:00) Ich denke jeden Tag über den Tod nach

  • (40:00) Öffentliche und private Finanzierung

  • (44:00) Applaus reicht nicht. Was muss jetzt passieren?

  • (48:00) Mit Stolz von der wertvollen Arbeit in der Pflege erzählen

  • (51:00) Die Abschaffung der Zivis war sehr dumm

  • (53:00) Emotionales Fotoprojekt: Rock around the time

  • (54:40) Sex im Alter mit Strip-Club und Dildo-Party

  • (57:00) Wir sind Helden des Alltags

  • (59:00) Corona hat uns alle ungeimpften Bewohner genommen

  • (1:01:00) Hinter die Kulissen schauen

  • (1:06:00) Bilder und Texte auf Sehensiehin.de

  • (1:08:30) Outtakes

  • (1:09:40) Cathrins süße Gute-Nacht-Geschichte

  • (1:11:35) Andreas Pläne fürs Alter


Fotoprojekt: Sehen Sie hin! Eine Dystopie

»Immer mehr Menschen werden pflegebedürftig. Gleichzeitig spitzt sich der Mangel an Pflegekräften weiter zu. Positive Berichte über die Pflege sind Mangelware. Für die Zukunft wird vielerorts ein düsteres Bild gezeichnet: überfordertes Personal, keine Zeit für Menschlichkeit. Menschen sterben einsam in kalten Zimmern. Gewalt.

Soll so Ihre Zukunft aussehen?

Die Wahrheit ist, dass wir uns schon seit geraumer Zeit im Notstand befinden. Das Pflegepersonal ist psychisch und physisch am Limit. Zeit für Verständnis? Fehlanzeige. Angemessene Bezahlung? Bei weitem nicht! Es erfordert Engagement und Mitgefühl, andere Menschen zu pflegen. Es bedarf besonderer Hingabe, das körperliche und geistige Wohlbefinden anderer Menschen zu ihrer Priorität zu machen.

Solange es uns gibt, sterben Sie nicht einsam. Weil es uns gibt, ist da jemand, der Ihnen zuhört, der Ihre Hand hält, wenn Sie sterben. Der mit Ihnen lacht, weint, Ihre Sorgen kennt und im Notfall für sie kämpft.

Wir arbeiten nicht in einer Durchgangsstation – wir sind für die meisten Menschen das letzte Zuhause. Jeder von uns steht in der Verantwortung, sich auf das Alter vorzubereiten – und dazu gehört, die Leistungen der Pflegekräfte zu würdigen, zu schätzen und laut in die Welt zu erzählen.

Schauen Sie sich unsere Bilder an. Sehen Sie hin!«

Fotos: Andreas Jorns, Text: Cathrin Beese

Making of von “Sehen Sie hin!” —> mehr im YouTube Video https://youtu.be/OKs86Je0R40


Fotoprojekt: Seitenwechsel

Wussten Sie, dass wir völlig vorurteilsfrei geboren werden? Bis zu einem bestimmten Alter gehen Kinder völlig unvoreingenommen auf Menschen zu. Wann genau verlieren wir diese Fähigkeit eigentlich?

Zum Glück sind wir Vorurteilen im Erwachsenenalter nicht ausgeliefert, denn sie haben mit der Realität meist nichts zu tun. Jeden Tag bilden wir uns in Sekundenschnelle eine Meinung über Menschen: Sei es die übergewichtige Frau, die in Leggins an der Bushaltestelle steht oder der Typ mit seinen abgelatschten Schlappen, der eine Kippe in der Hand hält- und beim Betrachter Gedanken induziert wie: „Sicher ist er ein Sozialschmarotzer!“ Das Erschreckende daran: Wir urteilen über Menschen, die wir überhaupt nicht kennen und projizieren unsere schlechten Erfahrungen. Und wir denken ganz selten darüber nach, ob die übergewichtige Frau vielleicht eine sehr treue Freundin, eine bezaubernde Mutter und ihr Übergewicht vielleicht krankheitsbedingt ist. Sie passt einfach nicht in unser soziales Bild. Sollen Vorurteile nicht einfach dafür sorgen, dass wir uns selbst besser fühlen oder wir unserem Ärger mal Luft machen können?

Authentische und ehrlich gefühlte Toleranz zu leben ist schwer, aber es ist doch gerade die bunte Vielfalt von Menschen, die unser Leben so spannend macht. Wir müssen diesen Gewinn nur schätzen lernen und uns unserer Vorurteile bewusst werden, um reflektierter damit umzugehen.

Protokollieren Sie doch heute mal ihre Gedanken: Was ist Ihre erste Meinung über die fotografierten Personen? Jeder Mensch trägt seine eigene, sehr spannende Geschichte. Heute möchten wir Ihnen die Entscheidung überlassen und Sie vor allem beim Betrachten der Portraits einladen, mit den dabei entstehenden Gefühlen liebevoll und aufmerksam umzugehen.

Wir danken den Menschen, die den Mut hatten, sich fotografieren zu lassen. Echt-wie sie sind und enden mit einem Zitat von Andreas Zick (Sozialpsychologe aus Bielefeld). Er hat einmal gesagt „Der Mensch ist evolutionär noch nicht klug genug, die Umwelt so wahrzunehmen, wie sie ist.“

Fotos: Andreas Jorns, Text: Cathrin Beese


Fotoprojekt "ROCK AROUND THE TIME!"

Wir schreiben das Jahr 2019 und noch immer werden alte Menschen nicht überall so respektiert, wie sie es verdient haben. Heute möchten wir euch etwas ganz Wunderbares zeigen. Und dazu erzählen wir Ihnen ein paar kleine Geschichten.

Beinahe geplatzt vor Aufregung sind Ende Juni 2019 unsere Bewohnerinnen und Bewohner, die unbedingt am großen 50er Jahre Fotoshooting teilnehmen wollten.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen nennen wir nur die Vornamen. Alle sind Bewohnerinnen und Bewohner der Parkresidenz am Germanswald und auch, wenn wir nur einen kleinen Teil der Menschen erwähnen, so sind doch alle mit einem Lächeln auf den Lippen am Abend eingeschlafen und haben unseren größten Respekt verdient:

Fotografin: Herzblutfotografie

Dorina. 59 Jahre.

Mit ihren langen schwarzen Haaren und ihrem zurückhaltenden Charakter wirkt sie beinahe unnahbar. Um herauszufinden, dass in ihr eine herzensgute Seele steckt, dazu muss man sie besser kennenlernen. Sie liebt Klaviermusik und wünscht sich, dass sie, so lange es geht, selbstständig gehen kann.

Da ist Hans - 84 Jahre.

Hans war Gründer der ersten Schulzeitung und württembergischer Schulmeister im Kunstturnen. Seine Brille trägt er stets vorne auf der Nasenspitze. Er liebt Swing und Rock `n` Roll und möchte in keinem Fall auf seine Privatsphäre verzichten. Sein Leibgericht ist Sauerbraten.

Alexander ist 69 Jahre.

Er ist ehemaliger Arzt aus Russland und Waldarbeiter als er damals für seine Exfrau nach Deutschland zog. In seine Erinnerungskiste würde er Zigaretten und Bücher packen. Am liebsten isst er Pilzsuppe.

Unsere Irmgard ist mit ihren 93 Jahren fitter als manch anderer junger Mensch.

Bei unserem Fotoshooting bat sie den jungen Mann am Kontrabass doch noch ein bisschen näher zu kommen. Im Kofferraum flirtete sie dann mit Christian und ließ sich von ihrer schönsten Seite fotografieren. Mit den Nachbarskindern hat sie sich früher immer unter einer großen Linde getroffen. Diese Linde gibt es heute noch. Bei einem Luftangriff 1945 wurde sie zusammen mit 350 anderen Kindern in einem Stollen über 34h verschüttet. Sie wurden gerettet. Beim Foto trug sie ein wunderschönes Kleid, wie früher auch.

Monika - 86 Jahre.

An ihrem 21. Geburtstag wollten sie die Jungs damals zum Rauchen verführen. Geschafft haben sie es nicht. Monika liebt die Natur und Ehrlichkeit. Zusammen mit ihrem Kater Timmy bereichert sie unser Leben und bringt uns zum Lachen. Sie war immer gerne beim Tanz und hört auch heute noch sehr gerne Musik. Zusammen mit Uwe saß sie auf dem Motorrad im Beiwagen und machte dabei eine tolle Figur.

Uwe ist 75 Jahre.

Er selbst sagt, dass seine Leidenschaften schon immer die Frauen waren. Zu seinen glücklichsten Momenten zählt die Geburt seiner Kinder. Früher als Kind war er im Winter mit seinen Freunden viel auf dem Schlossteich Schlittschuh fahren. Er mag es überhaupt nicht, wenn an ihm „herumgenörgelt“ wird.

Rosa Maria ist 68 Jahre jung.

Sie war in ihrer Jugend ein professionelles Fotomodel und auf den Laufstegen der Welt unterwegs. Sie liebt das Theater und Freddy Mercury. Die Spanierin tanzt bis heute gerne und kann auch heute noch in High Heels gehen. Rosa ist ein Familienmensch und liebt die Perfektion.

Friedhilde - 85 Jahre alt.

Die Farbe Rot mag sie gar nicht und sie riecht es gerne, wenn frisch geputzt wurde. Als Geschäftsfrau hat sie sich einen Ruf aufgebaut und ist überall bekannt. Erst vor kurzem ist sie in den Heimbeirat gewählt worden und zu ihren liebsten Alltagsritualen gehört das „Schnaufen, dass sie nicht verstickt!“ Zu ihren Lieblingsgetränken zählt der Weißherbst.

Lore ist 80 Jahre.

Sie sagt: „Ich bin eine Frühaufsteherin und abends geh ich spät ins Bett (23:30 Uhr). Mein Sohn hat mich mal gefragt was ich denn abends so lange mache und ich sagte ihm: Ich schlafe auf dem Sofa.“ Bei unserem Fotoshooting hat Lore gesagt, sie habe das Flirten verlernt. Dabei lachte sie herzhaft und zeigte dem jungen Mann neben sich, dass sie es eben doch kann. Aktuell ist Lore im Krankenhaus und muss am Herzen operiert werden. Wir schicken ihr unsere ganze Liebe und Genesungswünsche.


Andreas Jorns, Jhg. 1966.
Fotograf, Autor und Publizist aus Haan/Rhld..

https://www.ajorns.com 

Die Parkresidenz am Germanswald ist ein stationäres Pflegeheim im Villinger Kurgebiet. https://www.parkresidenz-am-germanswald.de 


Meine weekly52 / ZEIT OHNE ENDE Blogs/Podcasts mit Thomas Leuthard zum Thema Sterben: 

https://weekly52.de/weekly/192 - Die eigene Beerdigung 

https://weekly52.de/weekly/217 - Mit der Sterbeamme Nicole Füngerlings 

https://weekly52.de/weekly/111 - Bucket-Listen: Das Beste kommt zum Schluss? 

https://weekly52.de/weekly/118 - Der Sinn des Lebens, warum sind wir da? 

https://weekly52.de/weekly/61 - Midlife-Krise? Same as it ever was!


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